Sozusagen aus Prinzip bin ich Pessimist. So jemand wie ich wartet den ganzen langen Winter darauf, dass endlich Frühling ist, um sich dann zu beschweren, dass man entweder Heuschnupfen hat oder es nicht warm genug ist. Oder zu warm. Ich bin eben immer am jammern. Aber mal ehrlich, ich weiß ja selbst, dass es mir gar nicht schlecht geht. Vielleicht mache ich das nur, um ein wenig Aufmerksamkeit zu erlangen, denn schließlich verbindet das Leiden. Ja ja, meine schweren Leiden. Eigentlich bin ich genügsam. Nicht bescheiden, aber verzweifeln würde ich nicht, wenn ich mal auf meine Besitztümer verzichten müsste. Kommt allerdings drauf an, um welche „Besitztümer“ es sich da handelt. Manche Sachen gebe ich nicht her. Meinen Freund zum Beispiel… der Mensch, der mich aushält und trotzdem leiden kann. Ich bewundere ihn. Er ist ganz anders als ich.
Ich rede nicht viel. Nach außen hin bin ich recht still, aber in meinem Kopf herrscht immer ein reichlicher Gedankenaustausch. Sie springen hin und her, manchmal zusammenhangslos, manchmal genial. Klinge ich eingebildet, wenn ich so rede? Ich würde sagen nein. Ich bin mir meinen Stärken ja bewusst, genauso wie meinen Schwächen. Das ist eigentlich alles eher Realismus als Pessimismus.
Warum sage ich also, dass ich Pessimist aus Prinzip bin? Das normale Mädchen, das fast 18 ist, das einen Kirschbaum im Frühjahr sieht, der bei strahlendem Sonnenschein in voller, schönster Blüte steht, ist, würde ich sagen, total begeistert. Ich dagegen denke an den nächsten Sturm der aufkommt, um die Blütenpracht zu zerstören. Mir tut der arme Baum fast Leid, weil er all seine Energie darauf verwendet, so wunderschön zu sein, doch im nächsten Moment sind die Blüten verdorrt, bis sie irgendwann abfallen und sich mit Regen auf der Straße zu einer hässlichen braunen Pampe vermischen. So geht das doch immer im Leben. Man erreicht irgendetwas, denkt, alles läuft perfekt in dem Moment, und plötzlich ist alles anders, man steht im Regen, in einer Pfütze, und an seinen Schuhen kleben die braunen Reste der Blütenpracht. Und dann fühlt man sich noch leerer als vorher. Man sich, warum man sich überhaupt die Mühe gemacht hat, so in Blüte zu stehen. Die Menschen, die sich diese Mühe machen, verstehe ich nicht.
Ich halte mich selbst nicht für dumm, und wenn ich mich selbst mit anderen vergleiche, fühle ich mich in meinem Handeln doch oft bestätigt. Ich kann die Dummheit mancher Menschen nicht ausstehen, die sich in verschiedenen Formen äußern kann. Menschen, die dumme Sachen sagen, Menschen, die dumme Sachen machen, Menschen, die dumme Sachen denken, Menschen, die dumme Sachen unterstützen. Das ist mir suspekt. Manche Dinge verstehe ich einfach nicht. Ich sehe manche Dinge als so sicher für mich selbst an, einfach als gegeben. Und dann gibt es Leute, die eine völlig gegensätzliche Auffassung haben, die sich mit meiner gänzlich widerspricht. Ich kann für so etwas keine Toleranz zeigen, und das Resultat ist Abneigung. Nicht nur für die Sache an sich, sondern für die Person, die so etwas behauptet. Ein Beispiel dafür ist die Religion. Ich habe für mich selbst definiert, dass ich die Existenz dieser „höheren Macht“ vollständig ausschließe. Ich brauche dafür nicht unbedingt Gründe – das ist so, als ob man eben ausschließt, dass das Gras violett ist. Jemand, der behauptet, dass das Gras violett ist, ist doch auch ein Spinner, oder nicht? Und wenn man mir dann erzählt, dass der Glaube an dieses violette Gras dem armen Narr hilft und seine Existenz Antwort auf all seine Fragen im Leben gibt, dann stellen sich mir zwei Fragen: Welche Antworten gibt es denn? – und zweitens – Bist du eigentlich völlig bescheuert?
Ist das intolerant? Ja. Aber konsequent. Ich bin furchtbar stur. Oft hat man mir gesagt, dass das, was ich mache, nicht richtig ist, dass ich mich anders zu verhalten habe. Ich habe nicht auf diese Menschen gehört, sondern bin meinen eigenen Weg gegangen und habe mich durchgebissen, auch wenn das vielleicht der sehr viel schwerere Weg war. Ich mache mir das Leben selbst schwer, aber ich habe immer den Weg gefunden, der mich zum Ziel geführt hat. Sofern eins vorhanden war. Aufgeben war für mich noch nie eine Alternative. Natürlich gibt es Ziele im Leben, nur die einen stecken sie sich höher, die anderen niedriger. Ich muss mir hohe ziele stecken, weil mich niedrige immer mehr anödeten und mich nicht motivieren.
Ich habe Schwierigkeiten, mich mit den meisten Menschen zu identifizieren. Ich bin einfach irgendwie anders als die meisten. Ich finde zwar häufig Gemeinsamkeiten mit dem mir Gegenüber, aber plötzlich sehe ich auch elementare Unterschiede in meinen grundsätzlichen Überzeugungen, dass ich mich erschrocken abwende. Ich kann zwar leicht ein Gespräch mit Menschen anfangen und sie beobachten – tatsächlich macht mir das sogar Spaß – aber um eine tiefe Freundschaft mit jemandem anzufangen, benötige ich einiges an Überwindung. Irgendwie habe ich so eine Art Schutzwall aufgebaut, der mich vor zu viel Nähe schützen sollte. Ich glaube, ich war einfach zu oft allein in meinem Leben. Ich habe angefangen, mich auf mich selbst zu verlassen, und zwar nur auf mich selbst. Es gab einmal ein paar Menschen, mit denen ich mich anfreundete, die dann aber gewaltsam wieder aus meinem Leben austraten und so die Grundfesten erschütterten. Ich habe gelernt, allein zu stehen und niemandem mehr mit dem Ein- oder Austritt meines Lebens zu ermöglichen, mich wirklich aus der Fassung zu bringen.
Ich bin leicht eingeschüchtert. In meinem Kopf erhebe ich Widerstand gegen die Außenwelt, aber ich kann diesen nicht nach Außen repräsentieren. Ich habe mir irgendwann angewöhnt, mich nicht zu wehren, weil ich der Meinung bin, dass das die Attitüde des anderen nicht ändern wird. Eine Lehrerin hat mir einmal gesagt, dass ich zu viel das Wort „eigentlich“ benutze und mich nicht immer entschuldigen soll. Ich habe gedacht, dass mein Unglück von damals tatsächlich auf diesen Fehler von mir zurückzuführen sei. Wie sollte ich mir wehren, allein, gegen die ganze Klasse und diese Lehrerin? So schluckte ich diese Anschuldigungen einfach herunter und versuchte, den Fehler an mir zu beheben. Ich arbeitete an meinem Charakter, doch das änderte aber nichts zum Verhältnis in der Klasse oder zu der Lehrerin und ich fühlte mich noch weniger bestätigt als vorher, weil ich nun nicht mal mehr ich selbst war. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum sich die Revolution bloß in meinen Gedanken abspielt. Mein Verstand ist frei, meine Meinung unabhängig. Nach Außen projizierte ich sie jedoch nur selten. Ich denke, ich habe ein paar ganz andere Vorstellungen von Werten und guter Eigenschaften, dass ich die Schlüsse, die ich in langen Überlegungen gezogen habe, sowieso den meisten Menschen, gegen die sich mein Widerstand richtet, nicht übermitteln kann. Es ist ganz schön überheblich zu sagen, dass die anderen zu dumm sind. Aber das ist eigentlich genau der Punkt: Ich möchte, dass man mich versteht. Ich fühle mich aber nur von sehr wenigen Menschen wirklich verstanden.
Vielleicht bin ich aber auch einfach nur langweilig und griesgrämig, unsozial und zu direkt, ein Mauerblümchen, nicht lebensfroh genug, zu albern, zu bescheuert, zu über- und eingeschnappt. Ich mache mir schon Gedanken über die Menschen, die mich nicht leiden können, aber letztendlich lasse ich mir von ihnen nicht das Leben vermiesen. Ich habe gelernt, Hilfe anzunehmen und anderen zu vertrauen. Ich habe mich geöffnet und in den letzten Jahren viel Neues gelernt. Ich bin nicht mehr dieselbe, wie letzten Frühling, als die Kirschen blühten, und noch weniger dieselbe wie im Frühling vor zwei Jahren, wo zu dieser Zeit noch Schnee lag. Ich brauche keine Perfektion für mein persönliches Glück. Die kleinen Dinge im Leben sind entscheidend, denn letztendlich formen alle Kleinigkeiten das Große Ganze. Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die mir das beigebracht haben. Ich werde niemals aufgeben, mein Leben so lebenswert wie möglich zu machen. Ich liebe all diese Kleinigkeiten. Ich liebe das Leben.